Ein umstrittener Fall in Südkorea: Vor 60 Jahren biss eine Frau einem Mann, der sie offenbar vergewaltigen wollte, ein Stück seiner Zunge ab. Das Verfahren wird nun neu aufgerollt.
„Dieser Fall ist eines der umstrittensten Urteile des Landes und unterstreicht das Versagen beim Schutz eines Opfers sexueller Gewalt“: So beschreibt „The Korea Times“ einen Fall, der sich vor 60 Jahren zugetragen hat und nun neu aufgerollt wird.
Es geht um die Südkoreanerin Choi Mal-ja. Im Mai 1964, die heute 78-Jährige war gerade 18 Jahre alt, wurde sie in ihrem Haus in Busan überfallen. Ein 21-jähriger Mann soll versucht haben, die junge Frau zu vergewaltigen. Sie wehrte sich und soll dem Angreifer dabei ein eineinhalb Zentimeter langes Stück seiner Zunge abgebissen haben.
Choi Mal-ja wurde härter bestraft als der Angreifer
Nach dem Vorfall wurden beide verurteilt: Der Angreifer erhielt eine sechsmonatige Bewährungsstrafe, Choi eine zehnmonatige Bewährungsstrafe. Obwohl die Polizei von einem Sexualdelikt ausging, entschied das Gericht anders. Das Urteil lautete auf schwere Körperverletzung. Es sei Notwehr gewesen, erklärte die Südkoreanerin. Das Gericht berücksichtigte dies im Urteil nicht.
Doch es kam noch schlimmer: Die Zeitung „The Korea Herald“ berichtete, die Verurteilte habe später davon erfahren, dass ihr Vater fast alle Familienersparnisse für einen Ausgleich mit der Familie des Täters ausgegeben hatte, damit die Strafe möglichst gering ausfalle. Das Gericht habe damals sogar vorgeschlagen, man solle Täterin und Opfer miteinander verheiraten. In einem Interview 2020 schilderte sie der Zeitung, wie es damals vor Gericht zugegangen sei: „Ich sagte, ich hätte nichts Falsches getan, und [der Staatsanwalt] sagte, wenn ich mich nicht daran halte, müsste ich den Rest meines Lebens im Gefängnis verbringen.“ParisKolumne6 8.30
Verurteilte kämpft seit Jahren um Gerechtigkeit
Damals akzeptierte sie das Gerichtsurteil. Doch während sie an einem Kurs mit dem Titel „Sex, Liebe und Gesellschaft“ an der Korea Communications University teilnahm, an der sie sich in ihren 60ern einschrieb, erinnerte sich Choi an ihre Vergangenheit und wandte sich 2018 an die Korea Women’s Hotline, um Hilfe zu erhalten, schreibt die „Korea Times“ in ihrem Beitrag. Auch die weltweite #MeToo-Bewegung soll die Südkoreanerin in ihrem Vorhaben bestärkt haben, das Urteil anzufechten.
Seit 2020 kämpft sie nun gegen das Urteil an, um Gerechtigkeit zu finden. Nach einem Rückschlag hat sie jetzt Erfolg: Das Strafverfahren wird neu aufgerollt. Das Oberste Gericht in Busan gab diese Woche einem entsprechenden Antrag statt.
Quellen: „The Korea Times“ / „The Korea Herald“