Analyse: „Heidi Wer?“ – wie die Linkspartei die Jungen überzeugte

Die Linke gewinnt die Bundestagswahl bei den Jungwählern. Gefolgt von der extremen Rechten. Eine nähere Analyse zeigt, was die Probleme dabei sind.

Hand aufs Herz: Wer kannte bis vor einigen Wochen Heidi Reichinnek? Die Co-Spitzenkandidatin der Linken dürfte einen nennenswerten Anteil daran haben, dass ihre Partei bei der jüngsten Bundestagswahl zur stärksten Kraft bei Wählerinnen und Wählern unter 25 Jahren wurde. Gut ein Viertel dieser Gruppe wählten am 23. Februar 2025 die Linke. Platz zwei bei jungen Wählern belegte die in Teilen rechtsextremistische AfD (rund 20 Prozent). Auch die Unionsparteien, traditionell wenig anziehend bei Jungwählern, legen im Vergleich zur Wahl von 2021 etwas zu.

Ergebnis der Bundestagswahl bei den Jungwählern erklärbar

Für Politikwissenschaftler ist dieses Ergebnis nicht allzu überraschend. Junge Menschen wählen erfahrungsgemäß häufig oppositionell zu den jeweils regierenden Parteien, erklärt die Kieler Politologin Paula Diehl. Bei der Bundestagswahl 2021 profitierten von dieser Wählerneigung besonders die Grünen und die FDP, lagen damals bei den unter 25-Jährigen klar vorne. Doch das allein erklärt das aktuelle Wahlergebnis allenfalls in Teilen.

Viele junge Menschen hätten den Eindruck, dass ihre Probleme nicht ernst genommen würden, erklärt der Jugendforscher Simon Schnetzer bei „Zeit Online“. Politische Maßnahmen träfen demzufolge nicht ihre Lebenswirklichkeit. Im Vordergrund stünden soziale und finanzielle Sicherheit sowie Klimaschutz. Und: Eine Mehrheit der jungen Menschen wollte dem Rechtsruck in der Politik etwas entgegensetzen, so Schnetzer.

Diese Bedürfnisse junger Wählerinnen und Wähler adressierte die Linke inhaltlich und auch personell am erfolgreichsten. Heidi Reichinnek, 36, wurde zum Social Media-Star. Binnen weniger Tage, mithin Stunden. Allein ihre „Brandmauer“-Rede vom 29. Januar 2025 im Deutschen Bundestag schoss in sozialen Medien wie TikTok und Instagram durch die Decke, erreichte ein Millionenpublikum. Vor allem jüngere Menschen. Und das war keineswegs Zufall, sondern Ergebnis strategischer Medienarbeit: Allein auf TikTok hat sie 575.000 Folger gesammelt, auf Instagram sind es annähernd 500.000. Und was Heidi Reichinnek dort veröffentlicht, kann als lebensnah und glaubwürdig gerade für junge Menschen gelten: Seit mehr als zehn Jahren arbeitet die studierte Nahost- und Politikwissenschaftlerin in der pädagogischen Jugendhilfe, für ihr Bundestagsmandat seit 2021 vom Job freigestellt.

Soziale Medien nicht Ursache, aber mit Wirkung

Medienkonsum allein ist zwar laut wissenschaftlichen Erkenntnissen in aller Regel nicht die Ursache für das Handeln von Menschen. Mediale Inhalte können aber vorhandene Meinungen und Einstellungen verstärken, wie der Soziologe Paul Lazarsfeld erstmals 1940 zeigen konnte. Ein menschlicher Zug, den sich auch und gerade politische Extremisten seit jeher zunutze machen. Nicht zuletzt die AfD. Denn: Völlig neu ist eine Neigung manch junger Menschen zu rechtsnationalistischen Positionen und Parteien nicht, wie Wahlanalysen spätestens seit Beginn der 1990er Jahren zeigen. Vergleichsweise neu ist die grundlegend veränderte Öffentlichkeit, die Rolle Sozialer Medien. 

Die Algorithmen von TikTok, Instagram, Facebook & Co verschaffen besonders extremen Inhalten besonders weite und andauernde Verbreitung. Genau damit verdienen die Plattform-Konzerne aus den USA und China ihre Werbegelder. Verantwortung für die verbreiteten Inhalte lehnen diese Konzerne – anders als redaktionelle, journalistische Medien – weitestgehend ab. Kaum wundersam also, dass Parteien wie die AfD seit Jahren sehr stark auf Präsenz in Sozialen Medien setzen und zugleich journalistische Medien diffamieren.

Verfangen hat diese Strategie nicht nur bei Jungwählern, sondern bei insgesamt gut 16 Prozent aller Wahlberechtigten, also bei rund jedem sechsten erwachsenen Bundesbürger. Bis weniger als vier muss man zählen, um in einem Kreis 18- bis 24-Jähriger auf Linke-Wählerschaft zu treffen. Rein statistisch betrachtet. Diese spezielle Auszählung der Bundestagswahl 2025 zeigt, was politisch und gesellschaftlich in den nächsten Jahren zu tun ist.