Chirurg wegen sexuellen Missbrauchs von fast 300 Kindern in Frankreich vor Gericht

Ein wegen Missbrauchs von knapp 300 Kindern angeklagter französischer Arzt hat sich zum Auftakt seines Prozesses geständig gezeigt. „Ich habe abscheuliche Taten begangen“, sagte der 74 Jahre alte frühere Chirurg Joël Le Scouarnec am Montag vor Gericht in Vannes. „Ich bin mir heute bewusst, dass diese Verletzungen unauslöschlich sind“, fügte er hinzu. Er wolle die „Verantwortung“ für seine Taten übernehmen.

Le Scouarnec wird vorgeworfen, hunderte Kinder unter dem Vorwand von Untersuchungen oder unter Narkose missbraucht zu haben. In dem Prozess geht es um 299 mutmaßliche Opfer, die im Schnitt elf Jahre alt waren. Der Arzt hatte über seine Vergehen detailliert Buch geführt.

„Ich habe Angst, in zu sehen, obwohl ich so sehr auf diesen Tag gewartet habe“, sagte die heute 42 Jahre alte Nebenklägerin Amélie Lévêque am Rande des Prozesses. Sie war nach Überzeugung der Ankläger im Alter von neun Jahren von Le Scouarnec missbraucht worden, als sie wegen einer Blinddarmentzündung im Krankenhaus behandelt wurde.

Die Opfer des Arztes hofften in erster Linie auf die „Anerkennung“ ihrer Leiden durch die Justiz, sagte die Anwältin Marie Grimaud, die mehrere Nebenkläger vertritt. Viele von ihnen hatten erst im Erwachsenenalter erfahren, was ihnen widerfahren war. 

„Auch wenn man es vergessen hat, bleibt das Trauma. Ich lebe bis heute mit den Folgen“, sagte einer der Nebenkläger vor Prozessbeginn. Die Ermittler hatten ihm Ausschnitte aus dem Tagebuch von Le Scouarnec vorgelegt, die seinen Missbrauch im Alter von zwölf Jahren betrafen.

Le Scouarnecs Taten waren ans Licht gekommen, als die Ermittler bei einer Hausdurchsuchung in Zuge eines anderen Verfahrens auf Tagebücher des Arztes stießen. Darin beschrieb er minutiös, wie er sich an Jungen und Mädchen verging – teils im Krankenzimmer, teils sogar auf dem Operationstisch. 

Ermittler fanden bei dem Mediziner außerdem rund 300.000 Fotos und Videos mit kinderpornographischen Inhalten. Zunächst gingen die Ermittler von insgesamt mehr als 300 Opfern aus, einige Fälle wurden jedoch als verjährt eingestuft. 

Le Scouarnec muss sich nun wegen 111 Vergewaltigungen und 189 sexueller Übergriffe verantworten, die sich über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahrzehnten erstreckten. Ihm drohen bis zu 20 Jahre Haft. 256 der 299 mutmaßlichen Opfer waren jünger als 15. Zu den Opfern zählten laut der Anklage aber auch ein einjähriges Kind; das älteste Opfer war demnach 70 Jahre alt.

Das Verfahren dürfte ähnlich große Aufmerksamkeit bekommen wie der Prozess gegen den Serienvergewaltiger Dominique Pelicot, der im Dezember verurteilt worden war. Dabei gibt es mehrere Parallelen: Viele von Le Scouarnecs Opfern waren laut Anklage während der Taten bewusstlos. 

Zudem führte der Chirurg wie Pelicot sorgfältig Buch über seine Taten und hortete Fotos und Videos. Während es im Pelicot-Prozess jedoch ein Opfer und 51 Täter gab, sind es nun ein Täter und knapp 300 Opfer. 

Le Scouarnec arbeitete in rund zwölf verschiedenen Krankenhäusern im Westen Frankreichs. Obwohl manche seiner Chefs und Kollegen wussten, dass er bereits früher wegen Kinderpornographie verurteilt worden war, behinderte dies nicht seine Karriere. Dies führte zu einem zweiten Ermittlungserfahren, in dem es um Behördenversagen geht.

Der Prozess ist auf vier Monate angesetzt, etwa 40 der Nebenkläger haben einen zeitweisen Ausschluss der Öffentlichkeit beantragt.

Der Angeklagte war bereits 2020 zu 15 Jahren Haft verurteilt worden, weil er in den 90er Jahren vier Mädchen missbraucht hatte, unter ihnen zwei Nichten und die sechs Jahre alte Tochter seiner Nachbarn. Es war der Fall des Nachbarskindes, der die Hausdurchsuchung ausgelöst und damit den mutmaßlichen Massenmissbrauch ans Licht gebracht hatte.