Imamoğlu-Festnahme: Proteste gegen türkische Regierung: Studierende fordern Erdoğans Rücktritt

Das dürfte Erdoğan nicht gefallen: Seit der Festnahme des Oppositionellen Imamoğlu in der Türkei treibt es junge Menschen auf die Straße. Soziale Medien wurden eingeschränkt.

Nach der Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoğlu hält die Kritik an der türkischen Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan an. Studierende verschiedener Universitäten in dem Nato-Land gingen weiter auf die Straßen und forderten den Rücktritt des Staatschefs. Imamoğlus CHP-Partei rief ebenfalls zu landesweiten Protesten auf. In mindestens 14 Städten und Provinzen des Landes soll es am Abend zu Protesten kommen, teilte die CHP auf der Plattform X mit. Neben Istanbul gehörten Ankara, Antalya, Izmir und Adana dazu.

Bundeskanzler Olaf Scholz nannte die Festnahme Imamoğlus ein „sehr, sehr schlechtes Zeichen“. Opposition und Regierung sollten im Wettbewerb miteinander stehen und nicht die Opposition vor Gericht gestellt werden. In der Türkei wächst die Sorge vor einer Absetzung Imamoğlus als Bürgermeister.

Imamoğlu war am Mittwochmorgen gemeinsam mit vielen weiteren Menschen festgenommen worden, wenige Tage vor seiner geplanten Nominierung als Präsidentschaftskandidat der größten Oppositionspartei. Begründet wurde dies von der Staatsanwaltschaft mit Terror- und Korruptionsvorwürfen. Oppositionelle wie auch Beobachter werfen der Regierung vor, hinter der Festnahme zu stecken und so einen politischen Konkurrenten ausschalten zu wollen.

Dutzende weitere Festnahmen in der Türkei

Mit Imamoğlu wurden nach einer Meldung der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu mindestens 87 weitere Personen festgenommen, gegen 106 wird insgesamt ermittelt. Darunter sind auch zwei Istanbuler Gemeindebürgermeister und Imamoğlu nahestehende Mitarbeiter. Das Verfahren steht unter Geheimhaltung. Am Mittwochabend war bekanntgeworden, dass auch gegen eine Firma, deren Miteigentümer Imamoğlu ist, im Kontext des Verfahrens vorgegangen wurde.

Hintergrund der Terrorermittlungen ist eine Kooperation zwischen der CHP und der prokurdischen Dem-Partei bei den Kommunalwahlen. Über diese Kooperation habe die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK versucht, ihren Einfluss auszuweiten, zitierte Anadolu die Generalstaatsanwaltschaft. 

Der CHP-Vorsitzende Özgür Özel nannte die Festnahme seines Parteifreundes einen „zivilen Putsch“. Die Partei Erdoğans wehrt sich gegen den Vorwurf und nannte ihn den „Gipfel politischer Unvernunft“. Imamoğlu rief bei X Staatsanwälte und Richter dazu auf, das Justizsystem zu verteidigen. „Sie können und dürfen nicht schweigen.“

In vielen Städten der Türkei gingen erneut Studierende auf die Straße. In Istanbul forderten sie in Sprechchören den Rücktritt der Regierung, wie das Portal „Birgün“ berichtete. Die CHP rief Menschen auf, sich auch heute Abend vor dem Stadtverwaltungsgebäude in Istanbul zu versammeln. Gestern waren dort Tausende unter großem Polizeiaufgebot zusammengekommen – obwohl Proteste in der Provinz Istanbul für vier Tage verboten worden waren. Auch für Ankara gab es für den heutigen Abend einen Aufruf der CHP zu Protesten.

Unklar, ob Imamoğlu Bürgermeister bleiben kann

Ob der CHP-Politiker in Untersuchungshaft kommt, ist noch unklar. Sein Anwalt Kemal Polat sagte der Nachrichtenagentur DPA, sollte dies in Verbindung mit Terrorvorwürfen geschehen, könne Imamoğlu das Amt des Bürgermeisters aberkannt und ein Zwangsverwalter an seiner Stelle eingesetzt werden.

In der Türkei wurden bereits zahlreiche Bürgermeister der Dem-Partei und kürzlich auch der CHP wegen Terrorermittlungen ihres Amtes enthoben und durch regierungsnahe Zwangsverwalter ersetzt. Die Absetzung des Bürgermeisters der 16-Millionen-Metropole Istanbul wäre aber ein beispielloser Vorgang.

Imamoğlus Sieg im Jahr 2019 in Istanbul gilt als bis dahin größte Niederlage der AK-Partei Erdoğans. Diese hatte die Großstadt bis dahin regiert. Imamoğlu gewann in Istanbul 2024 ein weiteres Mal. Erdoğan verfehlte damit sein wichtigstes Ziel, die politisch und wirtschaftlich wichtige Metropole zurückzugewinnen. In Istanbul hatte einst auch Erdoğans politischer Aufstieg seinen Anfang genommen, als er 1994 zum Bürgermeister gewählt wurde.

Der Politikanalyst Berk Esen sagte der DPA, das Vorgehen gegen Imamoğlu komme einem Putsch gegen die „Überreste“ der Wahlinstitutionen gleiche und „könnte die Türkei in Richtung eines autoritären Regimes treiben, in dem Wahlen keine Rolle mehr spielen, wie in Venezuela oder Russland“.

Trotzdem Präsidentschaftskandidat?

Die CHP will Imamoğlu am Sonntag der Festnahme zum Trotz als Präsidentschaftskandidaten aufstellen. Statt nur die Mitglieder fordert die Partei nun alle Menschen in der Türkei dazu auf, symbolisch für Imamoğlu abzustimmen. Neben jeder der rund 4.000 landesweit aufgestellten Wahlboxen für die 1,7 Millionen Parteimitglieder würden zusätzlich symbolisch „Solidaritätswahlboxen“ aufgestellt, teilte die sozialdemokratische Partei mit. 

Gegen zahlreiche Nutzer sozialer Medien wurden unterdessen Ermittlungen eingeleitet. 37 Personen seien „gefasst“ worden, schrieb der türkische Innenminister Ali Yerlikaya auf X. Insgesamt seien 261 Accountinhaber wegen „provokativer Beiträge“ ermittelt worden, 62 davon im Ausland. Gegen die verbliebenen werde noch vorgegangen. Insgesamt seien bis zum Morgen mehr als 18 Millionen Beiträge auf X zu dem Thema veröffentlicht worden, so der Innenminister.

Soziale Medien funktionieren dabei in der Türkei weiter nur eingeschränkt. Der Cyberrechts-Aktivist Yaman Akdeniz schrieb am Morgen auf X, die Bandbreitendrosselung der Plattformen halte an. Nutzer und Medien berichten seit Mittwoch von nur teilweise und kaum erreichbaren Portalen.

Die staatliche Medienaufsicht RTÜK bestrafte vier türkische Sender wegen ihrer Berichte über Imamoğlu mit Bußgeldern und teilweisen Aussetzungen des Programms.

Hinweis: Diese Meldung wurde aktualisiert.