Die Serie „The White Lotus“ ist Fernsehen mit Geschmacksverstärker: Wir können nicht genug davon bekommen, bis die Chipstüte leer ist. Die dritte Staffel ist noch schöner – und noch böser.
Aus jedem Urlaub, sei er noch so kostspielig, kann die Hölle werden. Die drei Freundinnen, Frauen in den besten Jahren, wollen sich einen netten Tag in der Stadt machen, ein bisschen Shopping, anschließend Party im Beachclub. Sonnenbrille, Strohhut, leichte Kleidung, alle superhappy. Der Hotelangestellte, der sie abgesetzt hat, verabschiedet sie mit den Worten: „Die Wasserpistolenkämpfe sind nur ein Spaß.“ Die Freundinnen spazieren durch die Straßen, ein paar Kinder richten ihre Wasser-Pumpguns auf sie, es folgen Ermahnungen, voll nice, Smiley, aber lasst das bitte, Kinder. Die Kinder lassen es nicht, die Frauen werden triefnass, verlieren Fasson und Fassung – und binnen weniger Minuten brechen Panik und Abscheu durch ihre ansonsten perfekt modellierten Gesichtszüge.
Eine Nummer schlimmer? Bitte sehr: Der Familienvater, der mit seiner Frau und seinen drei erwachsenen Kindern nach Thailand gereist ist, zum gemeinsamen Chillen, wird bald von der Nachricht eingeholt, dass die Behörden und einige große Tageszeitungen ihn dringend sprechen wollen. Das schmutzige Finanzgeschäft, an dem er mitgewirkt hat, war offenbar nicht so todsicher, wie ihm sein Kompagnon angekündigt hatte. „Aber du hast es versprochen!“, ruft er verzweifelt in sein Telefon, das ihm bald von der freundlichen Empfangsdame abgenommen wird, denn dieses Resort an der thailändischen Küste soll frei sein von allen elektronischen Geräten. Für ihn beginnt ein Gang durchs Fegefeuer, das auch durch Whisky und Psychopharmaka nicht gelöscht werden kann.
Und schließlich: Was kann einen Urlaub im Paradies mehr verderben als die schockhafte Erkenntnis, dass der dünne Glatzkopf da an der Hotelbar ein Killer sein könnte? Der Figur Belinda wie auch den Zuschauern kommt der Typ bekannt vor: Das ist doch Greg, dessen reiche Frau Tanya am Ende von Staffel zwei im Meer ertrank. Oder?
„The White Lotus“, dritte Staffel, diesmal in Thailand, bezuschusst von der dortigen Regierung mit angeblich 4,4 Millionen Dollar. Dahinter steckt ein politischer Plan, wie zu lesen ist: Thailand möchte sein Image als billiges Reiseziel loswerden. Neues Motto: Geldsäcke statt Backpacker. Die Zahlen sprechen dafür, dass eine Staffel „The White Lotus“ den örtlichen Tourismus stärker anzukurbeln vermag als jede Check-24-Pausenwerbung: Während der Ausstrahlung der zweiten Staffel, die auf Sizilien spielt, soll die Internetsuche nach italienischen Städten um 50 Prozent zugenommen haben. Thailand will seine Besucherzahlen von 32 Millionen (2024) dieses Jahr auf mindestens 36 Millionen steigern. Der Programmanbieter HBO hilft gern.
Einmal so urlauben wie in „The White Lotus“
Es scheint aber, als schauten viele Menschen nicht so genau hin, wenn sie sich wünschen, einmal so zu urlauben wie in „The White Lotus“, einer fiktiven Luxushotel-Kette. Gedreht wird meist in echten „Four Seasons“-Anlagen, wo eine Suite bis zu 15.000 Dollar am Tag kosten kann. Durch die Kulisse tapern lauter zwielichtige, moralisch bankrotte Figuren, neben denen man nicht im Speisesaal Platz nehmen möchte, die aber ein besonderes Alleinstellungsmerkmal besitzen: Sie haben extrem viel Geld. Die Megamillionäre selbst sind oft so unansehnlich wie Elon Musk und Jeff Bezos, Dollarfreaks, die sehr angestrengt an ihrer Erholung arbeiten. ZDF-Zuschauer kennen das vom „Traumschiff“: Da schippern ja oft auch irgendwelche Schlachthofbetreiber oder Entrepreneure mit dem Charisma von Klaus-Michael Kühne über die Weltmeere.
„The White Lotus“ hat, zusammen mit der Serie „Succession“ sowie den Filmen „Triangle of Sadness“ und „Saltburn“, das Subgenre des sogenannten Reichenpornos begründet: Nichtreiche Betrachter wärmen sich an dem Umstand, dass es die Upperclass auch nicht leicht hat im Leben. Eine Patek Philippe am Handgelenk ist keine Garantie dafür, dass die Kinder dankbar auf das Erbe warten. Und Geld kann dir jeden Kick der Welt beschaffen, Drogen, Sex, aber es kann kein Herz erobern. Der Beischlaf mit einem Menschen, der nur dein Aktiendepot begehrt, bleibt kalt. Wir reden übrigens von so viel Geld, dass selbst Sylt nicht infrage käme als Handlungsort von Staffel vier von „The White Lotus“.
Arnold Schwarzeneggers Sohn Patrick hat einen Nacktauftritt
Staffel drei beginnt mit Schüssen im Paradies und einer Leiche, die durch den Hoteltümpel gleitet. Jäh springt die Handlung um sieben Tage zurück, und wie in den ersten beiden Staffeln begleiten wir nun die Ankunft der noch Vorfreudigen. Darunter die oben erwähnte Familie, die auch deswegen nach Thailand gereist ist, weil die Tochter für ihre Abschlussarbeit einen buddhistischen Mönch interviewen möchte. Ihr großer Bruder, ein fitness- und sexverrückter Hohlkopf wie aus einem Buch von Bret Easton Ellis, wird gespielt von Patrick Schwarzenegger, Arnies Sohn. Auch dabei: ein Paar, er von Schwermut und Midlife-Krise gepackt, sie eine junge Britin mit beeindruckenden Schneidezähnen. Besagte drei Freundinnen, die sich lange nicht gesehen haben – eine von ihnen entpuppt sich später als Trump-Wählerin, was die beiden anderen mehr schüttelt, als es jede Ekelprüfung im Dschungelcamp könnte. Sowie jene allein reisende Belinda, die auch in Staffel eins auf Hawaii dabei war, die bald den Glatzkopf entdeckt, den sie für Greg den Killer hält. In einer Nebenrolle: Christian Friedel, zuletzt gesehen als Rudolf Höß in „The Zone of Interest“, der hier den Hotelangestellten Fabian spielt, der das Wachpersonal beaufsichtigen soll. Als er einmal einen Aufpasser ermahnt, klingt ein wenig der Lagerkommandant durch.
Um den ermahnten Wachmann entspinnt sich eine hübsche Nebenromanze, in der auch ein Revolver auftaucht, und die Regel des russischen Dramatikers Anton Tschechow besagt: „Man kann kein Gewehr auf die Bühne stellen, wenn niemand die Absicht hat, einen Schuss daraus abzugeben.“
Den Serienschöpfer Mike White beschreibt die Zeitschrift „New Yorker“ in einem aktuellen Porträt so: blasse Gesichtsfarbe, bleiches Haar, nasale Stimmlage, in der er unerbittlich jedes Detail so lange korrigiert, bis ihm alles passt. White hat Salven an Gemeinheiten in die neuen Folgen gepackt, Tischgespräche von brillanter Gehirntotheit komponiert. Es ballert quietschesüßer Thai-Pop durch die Episoden, und immer wieder ragen malerisch die James-Bond-Felsen aus dem Ozean, bekannt aus „Der Mann mit dem goldenen Colt“. Die Schauwerte sind so hoch, wie der Erkenntnisgewinn niedrig ist: Viele Reiche sind arme Schweine. „The White Lotus“ ist Fernsehen mit Geschmacksverstärker: Wir können nicht genug davon bekommen, bis die Chipstüte leer ist.
Mike White sagt, dass er an „The White Lotus“ liebe, dass er zu jedem Staffelende alles abbrennen dürfte – um dann in der folgenden Staffel von vorne zu beginnen. Staffel vier ist bereits in Planung. Die Hölle wird dann an einem neuen Ort errichtet.
„The White Lotus“, 3. Staffel, seit dem 17. Februar 2025 auf Sky abrufbar