Forscher testen neue Methode zum Artenschutz: Das verrät die Dark Diversity über den negativen Einfluss des Menschen auf die Natur.
„Wo sind all die Blumen hin, wo sind sie geblieben?“ Mit diesem Song – einer deutschen Adaption des amerikanischen Antikriegssongs „Where have all the flowers gone?“ – war Marlene Dietrich 1962 sehr erfolgreich. Auch Biologen rätseln, warum es so viele Pflänzchen nicht gibt, wo es sie doch eigentlich geben könnte. Für dieses Phänomen haben sie den Begriff „Dark Diversity“ geprägt, zu Deutsch etwa: fehlende Diversität.
Wie groß dieses Ausmaß an Fehlstellen in der Natur ist, haben nun mehr als 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungsnetzwerks DarkDivNet in einer weltweiten Studie ermittelt. Dazu erfassten sie die Anzahl der Pflanzen an fast 5500 Standorten in mehr als hundert Regionen. Diesen Wert stellten sie der Zahl der Pflanzenarten gegenüber, die dort eigentlich aufgrund der ökologischen Rahmenbedingungen theoretisch zu erwarten wären. Aus diesem Verhältnis ermittelten sie die Dark Diversity, also das Ausmaß der fehlenden Artenvielfalt.
Dabei zeigte sich, je größer der Einfluss des Menschen auf einen Standort ist, um so mehr Arten fehlen dort. Das Ausmaß dieser Störungen ermittelten die Wissenschaftler mit dem sogenannten Human Footprint Index. Dieser menschliche Fußabdruck umfasst auf einer Skala von null bis 20 unter anderem Faktoren wie die Bevölkerungsdichte, Änderungen der Landnutzung wie etwa Stadtentwicklung und Intensivierung der Landwirtschaft sowie den Bau von Infrastrukturen wie Straßen und Bahnstrecken.
Artenschutz: Nur jede fünfte Art verträgt den menschlichen Einfluss
Das erschreckende Ergebnis der Studie: Dort, wo der Mensch die vorhandenen Ökosysteme nur sehr wenig beeinflusst, sind meist mehr als ein Drittel der Pflanzenarten vorhanden, die dort gedeihen könnten. In Regionen, in denen der Mensch viel verändert, also einen großen Fußabdruck hinterlässt, war nur etwa ein Fünftel der theoretisch möglichen Artenvielfalt vorhanden. „Das Ergebnis ist alarmierend, denn es zeigt, dass die Auswirkungen menschlicher Eingriffe viel weiter reichen als bisher angenommen und auch Naturschutzgebiete betreffen. Umweltverschmutzung, Holzeinschlag, Vermüllung, das Zertrampeln von Flächen und vom Menschen verursachte Brände können Pflanzen aus ihren Lebensräumen verdrängen und ihre Wiederbesiedlung verhindern“, bilanziert Prof. Meelis Pärtel, Hauptautor der Studie und Wissenschaftler an der Universität von Tartu.
Bisher konzentrierten sich ökologische Studien überwiegend auf Analysen von Arten, die an einem Standort vorkommen. Die Perspektive zu verschieben und sich zu fragen, welche Arten fehlen und warum, ermöglicht Wissenschaftlern nun ein tieferes Verständnis über die Prozesse, die den derzeitigen Verlust der Biodiversität bedingen.
Auch Lotte Korell, Pflanzenökologin am Umweltforschungszentrum, sprach das neue Konzept der Dark Diversity spontan an. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Kristin Ludewig von der Universität Hamburg untersuchte sie für die Studie 31 je zehn Mal zehn Meter große Flächen in der Lüneburger Heide. Dabei konzentrierten sie sich auf Birken-Eichen-Mischwald, ein Waldtyp, der dort als naturnahe Vegetation gilt. „Verglichen mit anderen Regionen waren sowohl der Human Footprint Index mit knapp 15 als auch die Dark Diversity mit rund 40 Pflanzenarten auf unserer Untersuchungsfläche relativ hoch“, sagt Korell. Obwohl die Lüneburger Heide eine große Fläche naturnaher Gebiete enthält, spiegeln diese Werte wider, wie stark Landschaft und Biodiversität vom Menschen beeinflusst sind.
Doch wie lässt sich dieser negative Einfluss des Menschen minimieren? Ein Ansatz könnte sein, ökologische Barrieren wie Straßen und asphaltierte Flächen zu verringern, sagt Korell. Dann könnten sich die unterschiedlichen Arten besser ausbreiten. Ein weiteres Learning aus der Studie: „Wir können leichter Flächen identifizieren, die sich besonders gut für den Naturschutz eignen, auch um dort eventuell potenziell vorkommende Arten wieder anzusiedeln.“ Das sei nicht möglich, indem man nur die bereits dort wachsenden Spezies ermittelt.
Darüber hinaus brachte die Studie auch positive Erkenntnisse. Der menschliche Fußabdruck wirkte sich weniger stark aus, wenn rund um eine Untersuchungsfläche mindestens ein Drittel der Flächen unberührt war. Dies unterstütze das auf der UN-Biodiversitätskonferenz beschlossene Ziel, weltweit mindestens 30 Prozent der Land- und Meeresfläche unter Schutz zu stellen.