Schauspieler Brix Schaumburg ist trans. Im Interview spricht er über Radtouren im Osten, brennende Regenbogenflaggen, Klischees im Film – und sein neues Buch.
Herr Schaumburg, Sie haben mit 20 Jahren eine Transition begonnen. Wie war es, danach Fuß zu fassen als Schauspieler?
Es war eher andersherum. Ich arbeite seit zwölf Jahren als Musicaldarsteller und Schauspieler und kaum einer wusste, dass ich trans bin. 2019 war ich Teil der Show „Transperencia“ in Lüneburg und wurde sichtbarer. Im Jahr darauf folgte dann eine große Hauptrolle, in der ich eine trans Rolle gespielt habe, den Nik in „Sunny – Wer bist du wirklich?“
Sie seien damit der erste geoutete trans Schauspieler Deutschlands, heißt es überall. Stimmt das?
Zuvor gab es noch nie eine durchgängige trans Hauptrolle, die von einem trans Schauspieler gespielt wurde, deshalb bekam ich dieses Label verpasst. Das ist unfassbar wichtig – und ich kann es unfassbar wenig leiden.
Warum?
Ich war garantiert nie der Erste. Es gibt so viele von uns, keiner weiß, wo wir eigentlich sind. Wir haben Gründe, das nicht laut sagen zu wollen. Aber ich lasse das Label so lange stehen, bis alle trans Personen gut behandelt werden in der Branche.
Wie hat sich das Outing auf die Rollenangebote ausgewirkt?
Ich bekomme viele trans Rollen angeboten.
Ist das etwas Gutes?
Nein.
Warum nicht?
Weil ich natürlich so viel mehr bin. Die Rollen kreisen immer in einem sehr kleinen Kosmos: Es geht um das Outing, die Geschichte der Transition. Selten haben die Figuren ein normales Storytelling wie alle anderen in der Serie oder im Film.
Kennen Sie einen ’normalen‘ Mann? Glaube ich nicht
In ihrem neuen Buch „Qu(e)er durchs Land“ schreiben Sie, nach dem Outing habe man sie gefragt, ob Sie sich vorstellen könnten, auch einen „normalen Mann“ zu spielen. Wie haben Sie reagiert?
Ich habe gefragt, was denn „normal“ ist. Als ob Männer alle von der Stange kommen, als ob sie nicht alle verschieden sind. Kennen Sie einen „normalen“ Mann? Glaube ich nicht. Es existiert keine Norm.
Gibt es Klischees, die Ihnen in den Rollen immer wieder begegnen?
Die Geschichten sind oft sehr simpel gestrickt. Aus Steffi wird Stefan und dann ist alles gut. Oder es fallen Sätze wie „Maike hat sich umbauen lassen“, als wäre der Körper ein Baukasten. „Angleichen“ ist besser – nur zwei Worte, aber die machen schon einen großen Unterschied.
Lehnen Sie solche Rollen ab?
Nein. Ich gehe in den Austausch mit den Produktionen. Oft liegt es auch daran, dass die Bücher zu Beginn des Drehs schon mal sechs Jahre alt sein können.
Wie reagieren Regisseurinnen und Produzenten auf Ihre Kritik?
Ich glaube, der Satz, der mir am meisten entgegengebracht wurde, ist: Das können wir den Zuschauern nicht zumuten. Dann sage ich: Menschen gucken sich Dokus über Quantenphysik an – dann können wir auch einfach eine ganz normale Lebensgeschichte erzählen. Oder Liebesgeschichten von Menschen, die sie auch draußen im Park sehen. Wir sollten nie aufhören, daran zu glauben, dass Menschen alles lernen können. Oft ist man dann offen für meine Hinweise. Ich habe sehr viele Drehbücher mit verändert oder durfte sie sogar ganz umschreiben. Ich bringe zum Beispiel auch gern meinen Humor mit ein. Ich finde: Ich darf existieren, ich darf auch trans sein – aber ich will auch ganz selbstverständlich witzig sein dürfen.
Wen würden Sie gern einmal spielen?
Jemand richtig ekelhaft Bösen. Einen unheimlichen Professor, der allein in der Höhle wohnt, zum Beispiel. Ich möchte auch gern einmal körperlich an meine Grenzen gehen: Muskeln aufbauen oder abnehmen.
Würden Sie anderen jungen trans Schauspielenden raten, sich zu outen – oder ist das im aktuellen Klima keine gute Idee für die Karriere?
Meine allererste Frage wäre immer: Was gibt es dir? Wenn es aus dir rausschreien möchte und eine große Befreiung wäre, dann wirst du auch nach außen strahlen und es wird dir guttun. Ich würde aber niemals irgendwem dazu raten, das wegen des Außens zu machen oder nicht zu machen.
Seit einigen Jahren fahren Sie durch Deutschland, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen bei Veranstaltungen. Ihr Buch dazu, „Queer durchs Land“, ist gerade erschienen. Welche Begegnung hat Sie besonders berührt?
Heilbronn! Mich hatte eine Person auf Instagram gefragt, ob ich nicht vorbeikommen möchte. Die hatte ganz clever einen Abend für Menschen organisiert, die sonst nicht offen queer sein können. Wie ein mysteriöses Dinner, bei dem man den Ort erst kurz vorher zugesteckt bekommt. Da habe ich so getanzt und mich frei gefühlt wie noch nie. Daraus haben sich mehrere queere Vereine gegründet und im letzten Jahr ihren ersten CSD organisiert. Ich durfte Schirmherr sein.
Kleine Begegnungen finde ich wahnsinnig toll. Ich habe ein Bambusfahrrad. In Augsburg auf dem Marktplatz kam eine Frau und sagte: Wow, was für ein Fahrrad! Es kann so einfach sein, ins Gespräch zu kommen. Und sie gab mir fünf Euro, mehr habe sie gerade nicht.
Haben sie der Frau erzählt, dass sie quer durchs Land fahren – oder dass die Fahrt Queer durchs Land heißt?
Ich habe gesagt, ich fahre sehr viele Kilometer auf meinem Fahrrad für einen guten Zweck. Ich erzähle nicht immer bis ins tiefste Detail, was ich genau mache.
Fußballfans haben uns angepöbelt und beleidigt – nur wegen der Flaggen am Lenkrad
Warum?
Ich habe drei Touren gemacht. Auf der ersten, 2021, hatte ich eine große Regenbogenflagge auf meinem Helm und war sehr sichtbar. Damals war noch alles okay. Ich habe sogar eine Fahrraddemo in Köln organisiert. Zwei Jahre später sind wir mit einigen Regenbogenflaggen über den Marktplatz in Frankfurt gefahren. Da war es schon sehr unangenehm.
Schaumburg auf seiner Tour in den Alpen
Was ist passiert?
Da waren sehr viele Pubs und sehr viele Fußballfans, die uns angepöbelt und beleidigt haben – nur wegen der Flaggen am Lenkrad. In Frankfurt gibt es auch immer wieder Übergriffe gegen queere Menschen und Dragkünstler:innen, das ist ein sehr unbequemes Pflaster. Danach habe ich beschlossen: Eine Demo machen wir auf gar keinen Fall wieder. Deshalb bin ich dieses Jahr zur Undercover-Maus mutiert.
Wie meinen Sie das?
Dieses Jahr zum Beispiel spende ich an ein Kinderhospiz. Ich erkläre aber nicht, warum die Fahrt „Queer durchs Land“ heißt oder wer ich bin. Ich fahre einfach sehr viele Kilometer auf meinem Fahrrad für einen guten Zweck. Ich fahre auch nicht mehr allein und poste nicht mehr, wo ich genau bin.
Neulich wurde wieder eine Regenbogenflagge abgefackelt, mitten im Prenzlauer Berg. Ich habe nirgends mehr einen Regenbogen an meinem Fahrrad. Wenn ich auf einer einsamen Landstraße bin, werde ich sonst vielleicht schneller mal umgefahren, als mir lieb ist. Das Risiko möchte ich einfach nicht eingehen.
Es geht auf ihren Reisen darum, ins Gespräch zu kommen. Sprechen Sie auch mit queerfeindlichen Menschen und Rechten?
Ich versuche schon immer, allen Liebe entgegenzubringen, auch wenn sie es nicht merken. Haben Sie „Zu Besuch am rechten Rand“ gelesen? Die Autorin ist durchs Land gereist und hat mit AfD-Wählerinnen gesprochen. Ich fand das sehr spannend. Es gibt natürlich Menschen, bei denen das Energieverschwendung ist. Die sind wie der Opa am Familientisch, der sich keinen Millimeter von seiner Meinung abbringen lässt. Aber ganz viele haben wirklich einfach keine Ahnung. Ich spreche manchmal in großen Firmen, da merke ich das. Ich sage dann: Ich bin heute hier und ihr dürft mich alles fragen.
Abklatschen vor dem Brandenburger Tor: Schaumburg auf seiner Tour in Berlin
© brixmitburg
Zu Beginn des Buches treffen Sie Tessa Ganserer. Die hat sich vor Kurzem aus der Politik zurückgezogen, weil der Hass gegen sie als trans Person ihr so an die Nieren gegangen ist.
Es war schwer, das mitzuerleben und meine Freundin nicht besser beschützen zu können. Sie ist eine große Stütze in meinem und vieler Leben und ich bin dankbar, dass ich mich sehr ermutigt gefühlt habe, diese Reise anzutreten. Viele haben sich aber in den letzten Jahren aus der Öffentlichkeit gezogen und ich kann dies zu hundert Prozent nachvollziehen. Kein Mensch sollte Anfeindungen erleben oder Diskriminierung jeglicher Art.
Gibt es Orte, an die Sie auf der vierten Tour nicht mehr fahren werden?
Ich halte mich dieses Jahr weniger östlich. Ich glaube, dass dort leider dennoch die Orte sind, die den Austausch am meisten brauchen würden.