Weltwirtschaftsforum: Wer hat den größeren – Saal? Scholz und Merz inszenieren sich in Davos

Der Wahlkampf ist beim Weltwirtschaftsforum in Davos angekommen. Olaf Scholz und Friedrich Merz treten in den Schweizer Bergen auf – können sie in Deutschland damit überzeugen?

Manchmal gleicht Wahlkampf einem pubertären Beliebtheitswettkampf. Plötzlich geht es wieder darum, wer den größten hat. 

Da ist der amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz und der darf beim Weltwirtschaftsforum in der Congress Hall sprechen, die größte Bühne, das größte Publikum. Hier spricht direkt im Anschluss auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, am Donnerstag wird Donald Trump in diesen Saal nach Davos digital zugeschaltet.

Friedrich Merz hingegen spricht im Raum „Sanada“, immerhin der zweitgrößte, den das Weltwirtschaftsforum so zu bieten hat, aber doch deutlich weniger beeindruckend. Wer am Infodesk nach der Veranstaltung mit Friedrich Merz fragt, wird verdutzt angeschaut. Friedrich Merz? No idea.  

Im selben Raum wird auch der Dritte in der Runde am Mittwoch noch auftreten. Während Olaf Scholz eine sogenannte „Special Address“ – also eine Rede – halten darf und Friedrich Merz vom Präsidenten des Weltwirtschaftsforums interviewt wird, tritt Robert Habeck aber lediglich in einer Gesprächsrunde auf.

Wahlkampf beim Weltwirtschaftsforum

Alle drei sind in ihren Funktionen hier: Bundeskanzler, Oppositionsführer, Wirtschaftsminister. Und würde man Habeck und Merz mit der Raumgröße des Kanzlers zu ärgern versuchen, würden sie zu Recht darauf hinweisen, dass sie von der aktuellen Funktion abhängt. Und dennoch wissen alle: Hier sprechen die drei Kanzlerkandidaten. Der deutsche Wahlkampf ist angekommen in den Schweizer Bergen.

Drei Milliarden Euro

Das Weltwirtschaftsforum ist ein Ort der Elite, hier laufen Entscheider Entscheidern über den Weg – die meisten aus Unternehmen, viele aus der Politik. Innerhalb weniger Tage lassen sich viele wichtige Menschen treffen. Für Politiker wie die Kanzlerkandidaten eine Chance: Sie können sich mit Politikern anderer Länder austauschen, Beziehungen in die Wirtschaft stärken und sie können sich darstellen als Teil dieser Elite. 

Aber ob ein Besuch beim Weltwirtschaftsforum das richtige Signal im Wahlkampf ist? Ja, man wirkt mächtig, vernetzt. Aber man zeigt sich eben auch an einem Ort, der abgehoben wirkt. Bürgernah – das ist das Weltwirtschaftsforum nun wirklich nicht. 

Aber bürgernah, das ist vielleicht auch gar nicht das, was die deutschen Bürgerinnen und Bürger von ihrem Kanzler erwarten. Möglicherweise wollen sie lieber einen Staatsmann. Zumindest scheinen das Scholz und Merz zu denken, die am Dienstag intensiv versuchen, sich als einen solchen zu verkaufen.

Kühler Kopf: Olaf Scholz

Zuerst ist Olaf Scholz dran. Er versucht sich als den besonnenen Menschen darzustellen, als den er sich selbst gerne sieht. Jemand, der pragmatisch ist und immer einen kühlen Kopf bewahrt. „Nicht jede Pressekonferenz in Washington, nicht jeder Tweet sollte uns gleich in aufgeregte, existenzielle Debatten stürzen“, sagt er mit Blick auf die USA.

Auch betont er, wie wichtig es gerade in dieser Situation ist, dass die Europäische Union aus sich heraus stark ist: „Das größte nationale Interesse Deutschlands ist die Europäische Union.“ Kurz nach seiner Rede wird bekannt, dass er an diesem Mittwoch nach Paris reisen wird, um den französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu treffen.

Eng mit Macron: Friedrich Merz

Auch Friedrich Merz betont seine Beziehungen nach Frankreich. „Ich bin sehr eng mit Emmanuel Macron“, erzählt er und spricht mehrfach darüber, wie wichtig es als Reaktion auf Donald Trump sei, als Europa mit einer Stimme zu sprechen.

Natürlich werde er mit Donald Trump zusammenarbeiten. Er wolle aber erst nach Washington fliegen, wenn es eine geeinte europäische Haltung gibt – fast klingt es da so, als sei er schon Bundeskanzler.

Nach seinen Wahlchancen gefragt, antwortet er, dass er vom Sieg der CDU überzeugt sei. „Sie sehen mich hier sehr, sehr zufrieden.“ Sein Ziel sei es so stark zu werden, dass eine Zweier-Koalition gelingen kann und dadurch mit mindestens zwei anderen Parteien verhandeln zu können – so sei die Verhandlungsposition am besten.

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In seinen ersten 100 Tagen im Amt wolle er zur Migrationsbegrenzung die Familienzusammenführung abschaffen, die Energiepreise mit Einnahmen des CO2-Geldes reduzieren und in jede Entscheidung die Folgen für die deutsche Industrie einbeziehen.

Keine Fragen will auch was heißen

Immerhin bleibt Friedrich Merz eine Peinlichkeit aus dem Auftritt von Olaf Scholz erspart. Nach dessen Rede wird das Publikum aufgefordert, Fragen zu stellen. Doch keiner meldet sich. Nach einer kurzen, etwas unangenehmen Wartezeit erbarmen sich doch noch drei Fragesteller – und Olaf Scholz versucht sich mehr schlecht als recht an der Antwort ihrer Fragen. Merz darf nach dem Interview direkt den Applaus genießen – und dann Richtung deutscher Journalisten laufen. 

Der Wahlkampf zwischen den beiden läuft. Doch schon Jahre vor der Pubertät lernt jedes Kindergartenkind: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Mal sehen, ob Robert Habeck sich auch als Staatsmann inszeniert, das Thema seiner Podiumsdiskussion weist zumindest schonmal auf eine ähnliche Themensetzung hin: „Beyond Crisis: Unlocking Europe’s Potential“. 

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