Bundestagswahl: „Es ist die letzte Chance“ – das schreiben Medien zum Wahlergebnis

Die Union gewinnt die Bundestagswahl, Friedrich Merz wird wohl nächster Bundeskanzler. Deutsche Medien sind sich einig: Die neue Regierungskoalition muss schnell Probleme lösen.

Regierungswechsel in Deutschland: Die Union mit ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz hat die Bundestagswahl klar gewonnen. Der CDU-Chef kündigte eine schnelle Regierungsbildung an – noch ist unklar, mit wem. Kanzler Olaf Scholz gestand die Niederlage seiner SPD ein. Sie liegt noch hinter der AfD, die ihr Ergebnis verdoppelt. An vierter Stelle folgen nach den Hochrechnungen von ARD und ZDF die Grünen. Die Linke überspringt die Fünf-Prozent-Hürde und ist erneut im Bundestag vertreten. FDP und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) müssen dagegen um den Einzug ins Parlament bangen. FDP-Chef Christian Lindner kündigte an, er wolle aus der Politik ausscheiden, sollte seine Partei unter fünf Prozent bleiben.

Deutsche Medien kommentieren die Bundestagswahl:

Badische Neueste Nachrichten

Friedrich Merz ist der logische und erwartete Sieger dieser Wahl. Ein Ergebnis unterhalb der 30 Prozent schenkt den Unions-Parteien nach den ersten Zahlen das Vertrauen – und damit den Regierungsauftrag. Trotzdem ist das keine Marke, um daraus die Spielräume für den echten Wandel zu schöpfen. CDU und CSU müssen enttäuscht sein, denn der kommende Kanzler ist zum gedanklichen Jonglieren gezwungen – dafür spricht nach Schließung der Wahllokale vieles. Schwarz-Gelb ist außer Reichweite, Schwarz-Rot sehr fraglich, Dreierbündnisse weiter stark denkbar.

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Der Wählerwille – auch wenn er einem nicht gefallen mag – darf nicht in sein Gegenteil verkehrt werden. Fast 50 Prozent der Wähler haben mit Union und AfD für liberalkonservative bis hin zu extrem rechten Positionen gestimmt. Heißt: Der Politikwechsel bei Migration und Wirtschaft muss kommen! Sonst wird die AfD – wie die FPÖ in Österreich – bei der nächsten Wahl womöglich stärkste Partei.

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Mit der AfD ist kein demokratischer Staat zu machen. (…) Bei den zentralen Fragen der Innen- und der Außenpolitik stehen AfD und Union zueinander wie Feuer und Wasser. Die Parteien der Ampel hatten ihre Chance, das Land nach ihren Vorstellungen zu gestalten, sind damit aber krachend gescheitert. Das sollten insbesondere die nicht vergessen, die bereit sind, in eine Koalition mit der Union zu gehen. Die Deutschen haben für einen Kurswechsel gestimmt, vor allem in der Migrations- und Wirtschaftspolitik. Merz wird in jedem denkbaren Bündnis Kompromisse und damit Abstriche vom eigenen Programm machen müssen. Doch auch nur in die Nähe des „Weiter so“ darf die nächste Regierung nicht kommen. Das würde die AfD weiter stärken. Lauter hätte der Warnschuss bei dieser Wahl nicht sein können.

Heilbronner Stimme

Wenn am Wahlabend weitestgehend die veröffentlichten Prognosen bestätigt werden, dann macht das vor allem eines deutlich: Keine Partei konnte mit ihren Argumenten neue Wähler hinzugewinnen – abgesehen von der Linken.

Die CDU gewinnt zwar, doch mit dem Ergebnis kann sie nicht völlig zufrieden sein. Von der Unbeliebtheit der geplatzten Ampel kann Kanzlerkandidat Merz nur wenig profitieren. Doch darum geht es jetzt nicht, sondern um eine schnelle Regierungsbildung mit klaren Kurskorrekturen. Und die wird schwer genug, wenn die CDU zwei Koalitionspartner benötigen sollte.

Am Ende zählt trotz unklarer Verhältnisse nur eines: Deutschland muss jetzt aus der Schockstarre erwachen, endlich fit für die Zukunft gemacht werden und alle Bürokratiehemmnisse über Bord werfen, damit die Wirtschaft wieder in Schwung kommt. Und das sind Herausforderungen genug für die neue Regierung.

Hessische/Niedersächsische Allgemeine

Die Erwartungen an den kommenden Kanzler, der aller Voraussicht nach Friedrich Merz heißen wird, sind wolkenkratzerhoch. Viel zu viel ist in der Vergangenheit liegengeblieben, auch darum sind es gegenwärtig so schwere Zeiten. Und es werden harte Jahre der Bewährung im Kanzleramt werden, denn der Wahlgewinner und seine künftige Koalition sind geradezu gezwungen, all die vielen unerledigten Aufgaben zu meistern. Falls das schiefgeht, würde der Montag nach der nächsten Bundestagswahl unerträglich werden. Der Erfolg des Friedrich Merz ist für Deutschland ohne Alternative, denn man kann gewiss sein, die Feinde der Demokratie lauern von nun an im Vorhof der Macht auf sein Scheitern. Schon deshalb sollte man ihm viel Glück wünschen. Er kann es brauchen.

Mannheimer Morgen

Friedrich Merz wird die AfD nur in Schach halten, wenn er ab sofort gegenüber den Akteuren der politischen Mitte versöhnend, vermittelnd und besonnen auftritt. Zuletzt beleidigte er sie als „linke Spinner“. Eine kluge Taktik gegen die weitere Spaltung der Gesellschaft ist daraus nicht abzuleiten.

Der Weg zueinander – in welcher Konstellation auch immer – wird für alle Beteiligten ein großer Sprung über den eigenen Schatten. Es gibt keine andere Wahl. Die politische Mitte, solange es sie noch gibt, muss sich zusammenreißen, sich zusammentun, zum großen gemeinsamen Politikentwurf ansetzen, der das Land reformiert und vor den radikalen Kräften im In- und Ausland schützt. Vielleicht wird es ihre letzte Chance.

Münchner Merkur

Der neuen Regierung unter Friedrich Merz ist Glück zu wünschen. Denn jedes der drei gewaltigen Probleme, die sie nun lösen muss, hat das Zeug, eine Koalition zu überwältigen: die Entschärfung der Zeitbombe Asyl, die Rettung der Wirtschaft und, vor allem, die Verteidigung Europas. Nach dem ungeheuerlichen Raubzug, den das Duo Putin/Trump gegen die Ukraine führt, um ihr Land und ihre Bodenschätze zu stehlen, blickt man in den EU-Hauptstädten auf Deutschland. Trotz des Krimis, den die Bundesbürger da zusammengewählt haben: Europas wichtigstes Land darf sich in der größten geopolitischen Krise seit Jahrzehnten keine endlose Hängepartie leisten. Bis Ostern muss die Regierung stehen. Bis dahin sollte ein Notkabinett unter Beteiligung von Merz über Parteigrenzen hinweg sicherstellen, dass Berlin jederzeit handlungsfähig bleibt. Die Geschichte wartet nicht auf Deutschland.

Neue Osnabrücker Zeitung

CDU und CSU haben sich in einer Stärke behauptet, auf die noch vor zwei Jahren keiner gewettet hätte. Spitzenkandidat Friedrich Merz habe ein Problem bei Frauen, war eine der ulkigsten Phrasen, mit denen der kommende Kanzler diskreditiert wurde. Dabei war absehbar, dass kein Kandidat bei der jetzigen Bundestagswahl mehr Stimmen von Frauen erhalten würde als er, und so ist es dann auch gekommen – zum Verdruss derer, die sich in ihrer Blase an jeden Strohhalm klammerten. Merz hat seinen Wahlsieg insofern verdient. Leicht hat es ihm keiner gemacht, der politische Gegner nicht, die Medien nicht, interne Rivalen nicht, bis hin zu seiner Vorgängerin Angela Merkel. Jetzt krönt Merz seine Laufbahn, die herbe Rückschläge und harte Angriffe kannte.

Ostfriesen-Zeitung

Das Wahlergebnis ist Segen und Fluch zugleich. Die neue Merz-Regierung hat zwar mit einem soliden Fundament gewonnen, ist jetzt aber in der Pflicht, nicht nur einen Parteienwechsel, sondern einen Politikwechsel an den Start zu bringen, der diesen Namen auch verdient.

Rhein-Zeitung

Der Wähler, der nun zum zweiten Mal in Folge enttäuscht und mit dem Wunsch nach einer anderen Politik an die Urne getreten ist, hat bei allem Unmut noch Vernunft walten lassen und die Parteien der demokratischen Mitte mit einem Regierungsauftrag ausgestattet. Machen wir uns nichts vor: Es ist die letzte Chance. Auf der nächsten Regierung lastet die enorme Verantwortung, diese letzte Chance nicht zu verspielen. Weder durch Bräsigkeit noch durch kleinliches Gezänk. Gesundheit, Pflege, Rente, Steuern, Bürokratieabbau, Bildung, Infrastruktur und ja, auch der im Wahlkampf untergepflügte Klimaschutz verlangen entschlossenes Handeln. Nichts davon darf mehr vertagt oder auch nur halbherzig angegangen werden. Und nicht zuletzt muss die neue Regierung auch eine bedeutende im Sinne der Europäischen Sache sein. Egal, welche Parteien sich ab morgen um die Bildung einer Regierung bemühen, sie sollten sich gemeinsam dieser hohen Verantwortung bewusst sein.

Rhein-Neckar-Zeitung

Sollten es SPD, Grüne und FDP nicht gewusst haben, so wissen sie es jetzt: Nach dreieinhalb enttäuschenden Jahren hatten Millionen Wähler genug von den selbst ernannten „Fortschrittskoalitionären“. Alle drei Ampel-Partner wurden krachend abgewählt. Und das hatte viel mit der Art zu tun, mit der Rote, Grüne und Gelbe regierten: meist im Streit. Hinzu kam die Mischung aus dem erratischen Auftreten des Kanzlers, der belehrenden Art der Grünen und den vielen Nickeligkeiten der Liberalen. Mit keiner dieser Parteien war es im Grunde auszuhalten. Eigentlich eine Steilvorlage für die Union, die am Sonntag aber unter ihren Möglichkeiten blieb. Die „letzte verbliebene Volkspartei“ im Bundestag scheitert erneut an der 30-Prozent-Marke. Für eine richtige Wechselstimmung reichte es nicht. Für den Einzug ins Kanzleramt hingegen schon.

Süddeutsche Zeitung

Friedrich Merz steht nun vor einer schwierigen Herausforderung. Ausgestattet mit einem Mandat, das schwacher ausfällt als von ihm erhofft, mit dem zweitschlechtesten Ergebnis, das die Union jemals bei einer Bundestagswahl erzielt hat, muss er ein starkes Bündnis formen. Er muss eine tragfähige Koalition formen, die die Verantwortung für das Land über Parteiinteressen stellt; und deren führende Köpfe wirklich Gemeinsamkeiten finden, anstatt diese bloß in Selfies zu proklamieren. Nur mit einer handwerklich sauberen Politik, die die seit zwei Jahren andauernde Rezession beendet und dem Land wieder Zuversicht gibt, lässt sich jenes Vertrauen in die Demokratie zurückgewinnen, welches zu viele Bürger verloren haben. Versinkt hingegen auch die Merz-Regierung im Streit, werden davon hauptsächlich die Rechtspopulisten von der AfD profitieren.

Volksstimme

Dieses Wahlergebnis ist eines, das mehr Folgen haben wird, ja muss, als die Bildung einer neuen Regierung.  Friedrich Merz  steht vor dieser Herausforderung.   Wie – vielleicht sogar ob – er Kanzler werden kann, werden die nächsten Wochen  zeigen. Die Regierungsbildung, so schwer sie auch werden wird, ist die letzte Chance für die Parteien der Mitte, dieses Land zu gestalten, den Menschen eine Zukunft zu vermitteln unter dem Dach Europas, das gerade von Putin und Trump an beiden Seiten angezündet wird. Die Herausforderungen sind klar:  Eine dynamischere Wirtschaftspolitik, eine konsequente Steuerung von Migration, aber nicht zuletzt auch gesicherte Lebensverhältnisse auf dem Land wie in den Städten werden die Messlatte ausmachen. Dazu sind ein neues Verständnis und ein besserer Stil nötig, als es die Ampel vermocht hat. Auch wenn die Unterschiede der Koalitionäre groß sein werden – gelingt dies nicht, wird die politische Landkarte so blau wie sie im Osten schon ist.

Welt

Die Deutschen haben aus guten historischen Gründen eine Furcht vor der Machtbeteiligung einer in Teilen rechtsradikalen Partei. Aber die Brandmauer wird – so die Prognose – die nächsten vier Jahre nicht halten. Bleibt die Brandmauer bestehen, könnte die AfD bei den nächsten Wahlen Richtung 30 Prozent wachsen.