Meinung: Friedrich Merz muss die deutschen Stromautobahnen zurückkaufen

RWE will einen Anteil am deutschen Stromnetz loswerden. Ausländische Investoren, unter anderem aus Katar, sollen Interesse zeigen. So darf es nicht laufen.

Der Energiekonzern RWE will seinen 25-Prozent-Anteil an dem Stromnetzbetreiber Amprion verkaufen. Das „Handelsblatt“ berichtet, die erste Gebotsrunde beginne nun. Staats- und Pensionsfonds aus aller Welt sollen Interesse zeigen, etwa aus Kanada, Norwegen oder den Niederlanden. Sogar Katar denke über einen Einstieg nach. 

Was gerade im Halbdunkel der Öffentlichkeit passiert, darf nicht sein. Die Stromübertragungsnetze sind systemrelevant wie keine andere technische Einrichtung. Sie sorgen nicht nur für helle, warme Wohnstuben, volle E-Auto-Akkus und einen (halbwegs) funktionierenden Zugverkehr. Sie versorgen auch die gesamte Industrie, die unseren Wohlstand sichert, mit lebenswichtiger Energie. Sie sind also Teil der Daseinsvorsorge und gehören in den Besitz des Volkes, also des Staates.

Seit dem Ukrainekrieg ist klar, wie anfällig Stromnetze sind

Diese Forderung gibt es nicht erst seit heute. Doch spätestens seit den teils hybriden Angriffen der Russen auf die ukrainische Infrastruktur müsste dem letzten Zweifler klar sein, wie elementar Stromnetze für Gesellschaft und Industrie sind. Bundesweit müssen sie perfekt funktionieren, geschützt und zügig ausgebaut werden, um sie an die angestrebte dezentrale Erzeugung von Grünstrom anzupassen. Das energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (EWI) taxiert den Investitionsbedarf bis 2045 auf 430 Milliarden Euro. Das Geld muss sicher fließen.

Schon heute bezahlen deutsche Stromverbraucher einen hohen Preis für das Netz über die Netzentgelte im Strompreis. Einen zu hohen, kritisieren manche Experten, denn die Gewinne der Netzbetreiber fielen viel zu üppig aus. Studien, die eine Verstaatlichung anraten, zeigen auf, welche positiven Folgen sie für Klein- und Großverbraucher hätte. Der Staat muss bei den Netzen keine Gewinne einfahren, schon lange keine kurzfristigen, er muss nur Verluste verhindern. So kann er die Höhe der Netzentgelte besser steuern. Schließlich steigt die Investitionssicherheit, denn ein Staat kann leichter Geld aufnehmen und ausgeben für sehr langfristige Investitionen, die sich vielleicht erst nach Jahrzehnten auszahlen. 

Versorgungssicherheit und Netzstabilität müssen sich verbessern

Vor allem würden sich aber auch die Versorgungssicherheit und Netzstabilität verbessern. Die Energiewende würde beschleunigt, man wäre unabhängig von der Finanzlaune ausländischer Investoren. Außerdem käme es nicht mehr zu Interessenkonflikten wie heute, wo ein Konzern wie RWE sowohl in fossilen Großkraftwerken Strom produziert als auch Netze betreibt und daher seine schmutzige Energie über die Stromautobahnen verkaufen möchte, die eigentlich für Grünstrom freigehalten werden sollte.

In den vergangenen Jahren hat die Politik leider manche Chance auf einen Zugriff verpasst und höchstens Minderheitsbeteiligungen erworben. Zuletzt verhindert der ehemalige Finanzminister Christian Lindner (FDP) im vergangenen Sommer, Tennet zu erwerben, das derzeit den Niederlanden gehört und die wichtige Nord-Süd-Stromtrasse mitbetreibt. Die Nachbarn nehmen gern Gewinne auf ihrer 14.000 Kilometer langen Stromautobahn mit, verlieren aber zusehends die Lust, die nötigen Milliardeninvestitionen zu stemmen. Den Haag will das Netz noch immer loswerden. Eigentlich müsste Deutschland nun über das Sondervermögen Infrastruktur (so es kommt) sofort zuschlagen – wäre das Land nicht gerade ziemlich handlungsunfähig.

Der Staat hat zu viele Chancen aufs Stromnetz verpasst

Die Rückführung der Netze sollte zu einer der großen Strukturreformen einer neuen Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz erklärt werden. Die Koalition sollte dieses Ziel in ihrem Vertrag festschreiben. Die Zeiten stehen nicht schlecht. Denn auch wenn es für den RWE-Tennet-Anteil angeblich schon Interesse gibt, fällt es den Netzbetreibern seit Längerem schwer, Investoren zu finden. Das dürfte den Kaufpreis für die Netze drücken.