Drei Tage Stadtallendorf statt Schloss Bellevue – das ist für den Bundespräsidenten kein Urlaub. Er will wissen, was die Menschen vor Ort bewegt. Die freuen sich über den hohen Besuch.
Reingehen, reden und wieder wegfahren – so laufen Politikerbesuche häufig ab. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will es bei seinem Besuch in Stadtallendorf bewusst anders machen. Für drei Tage hat er Schloss Bellevue gegen das Parkhotel in der mittelhessischen Stadt getauscht, wo am Vormittag die Standarte aufgezogen wurde für den hohen Besuch. Steinmeier will wissen, was die Menschen vor Ort bewegt, wo der Schuh drückt, aber auch, was gut läuft. „Danke, dass wir hier sein dürfen“, sagt er, als er bei strahlendem Sonnenschein von Stadtallendorfs Bürgermeister Christian Somogyi (SPD) in Empfang genommen wird.
Ein aktuelles Thema, das nicht im offiziellen Besuchsprogramm enthalten ist, wird gleich zu Beginn an das Staatsoberhaupt herangetragen. Noch bevor er das Rathaus betritt, macht Steinmeier kurz bei Autobahngegnern Halt, die hier gegen den Lückenschluss der A49 protestieren. „Die Trassenführung durch Wald und Wasser und durchs Gleental ist für die Natur eine Katastrophe“, sagt ein ehemaliger Förster, der sich für den Protest als Baum verkleidet hat – und mahnt einen besseren Naturschutz in der Verkehrspolitik an. An diesem Freitag soll das letzte Teilstück der Autobahn für den Verkehr freigegeben werden.
Besuch ist kein „Urlaub in Hessen„
Nach dem Eintrag ins Goldene Buch spricht Steinmeier mit Kommunalpolitikern. Der Austausch sei ihm wichtig, „weil dort hört man mal die gesammelte Übersicht, wo es brennt, wo es unter den Nägeln drückt, und was vielleicht auch zufriedenstellend verläuft in Stadtallendorf“, sagt er. „Und ich habe den Eindruck, das ist relativ viel hier vor Ort“ – dies habe ihm auch der Bürgermeister so vermittelt. Somogyi spricht von einem „einzigartigen Erlebnis“ – man freue sich über die Gelegenheit, die Stadt und die Arbeit, die in den vergangenen Jahrzehnten hier geleistet wurde, präsentieren zu können.
Bei seinem Abstecher nach Stadtallendorf gehe es nicht darum, Urlaub in Hessen zu machen, betont der Bundespräsident. „Die Arbeit geht weiter, sie findet nur anderswo statt.“
Austausch über Pläne für Innenstadtbelebung
Spontane Begegnungen mit den Einwohnerinnen und Einwohnern der Stadt ergeben sich bei einem Gang durch die Stadt. In einer Metzgerei nimmt der Bundespräsident einen Mittagsimbiss ein und tauscht sich mit einem Investor zu dessen Plänen für Immobilien aus. Ihm gehe es darum, passende Mieter zu finden, um „aus so einer Fläche wieder was Schönes in der Zukunft zu machen und der Innenstadt jetzt mal wieder ein bisschen Leben einzuhauchen“, sagt Unternehmer Tim Thumberger.
Zwar sei im Lebensmittelgeschäft nebenan immer viel los – „aber wenn jetzt nicht gerade der Bundespräsident vor Ort ist, dann ist es auf dem Marktplatz doch eher leerer.“
Integration und Zuwanderung im Fokus
Warum ausgerechnet Stadtallendorf, wird der Bundespräsident gefragt. Er sei durch einen Presseartikel darauf aufmerksam geworden, dass die Stadt in verschiedenen Zuwanderungswellen gewachsen sei. Andere sagten über die Stadt: „Die Vielfalt dieser Stadt ist erstens bemerkenswert, zweitens kommt Stadtallendorf mit dieser Vielfalt besser zurecht, als viele andere Städte“ – das habe ihn neugierig gemacht, sagt Steinmeier.
In der Stadt im Landkreis Marburg-Biedenkopf leben knapp 22.000 Einwohner zahlreicher Nationalitäten. Nicht nur Heimatvertriebene fanden in der Nachkriegszeit in der Stadt ein neues Zuhause, sondern auch viele Arbeitsmigrantinnen und -migranten sowie Geflüchtete.
Wie Vielfalt und Integration vor Ort gelebt werden, davon wollte sich Steinmeier bei einem für den Abend geplanten Austausch mit Jugendlichen sowie bei seiner Teilnahme an einem Boxtraining ein Bild machen. Auch bei einer „Kaffeetafel kontrovers“ mit Bürgerinnen und Bürgern an diesem Mittwoch solle es um das Thema gehen.
Bewusst Besuche fernab der Metropolen
Zu den weiteren Themen gehört der Umgang mit der NS-Geschichte und die Werteorientierung der Bundeswehr sowie die wirtschaftliche Situation der Stadt, von der sich Steinmeier bei zwei Unternehmensbesuchen ein Bild machen will.
Stadtallendorf im Landkreis Marburg-Biedenkopf ist die erste hessische und die insgesamt 14. Station im Rahmen der Reihe „Ortszeit Deutschland“, bei der der Bundespräsident bewusst kleinere Städte abseits der Metropolen bereist und dort für einige Zeit seine Amtsgeschäfte aufnimmt.
Entwickelt wurde das Konzept der „Ortszeit Deutschland“ während der Corona-Pandemie. Wie bei den anderen Stationen sollen Inhalte der Gespräche auch in aktuelle politische Debatten einfließen.